TSB in Japan, ein Reisebericht von Jo Russer
 
Wer Gast in Japan ist, lebt wie Gott in Frankreich:
Die Aufmerksamkeit der Japaner, die Planmäßigkeit
japanischer Wohltaten mag für manchen, der
Spontaneität und Improvisation schätzt, Züge von
Nötigung besitzen.
Wir gaben uns der wunderbarsten Entmündigung,
die nichts dem Zufall überläßt, gerne hin.
Einmal sehen, lehrt ein japanisches Sprichwort, ist
besser als hundertmal hören. Doch auf den Fremden
wirkt selbst hundertfach Gesehenes verwirrender als
das erste Hörensagen.
Hingerissen wurde ich als Betrachter von der Hingabe
der Japaner beim Lernen und ihrer handwerklichen
Perfektion, die Kunst der Verhüllung in Japans Gärten,
Töpferwaren, Mode, Bauten, Badesitten und Speisen.
Doch unversehens wird man hergerissen. Abgestoßen
oder auch amüsiert von der aufregenden Häßlichkeit
und der Härte in den wildgewachsenen Städten gibt es
vieles zu entdecken: Die von Masten und Kabeln
zernarbten Himmel, die gekachelten Appartementhäuser,
deren Charme zwischen Intensivstation und
Bedürfnisanstalt zu suchen ist, die grell dumpfen
Patchinko-Spielhöllen, gepaart mit Karaoke - Boxen.
Rempeleien in überfüllten Bahnhöfen, kalte Grobheit
von Gruppen gegenüber Außenseitern.
Als Betrachter kann man sich in die Kirschblüte und die
Naturnähe der Japaner verlieben und ungläubig die
Fahrlässigkeit verfluchen, mit der Küsten und Wälder
von Müll verschandelt werden.
Ich frage mich, wie es Japan gelingt, zwischen
Feudalzeit und Postmoderne zu pendeln, als sei der
Shintoismus im Internet geboren, als ernteten die
Bauern Microchips in den Reisfeldern.
Denn das Japan Personen zu extremen Urteilen reizt,
wäre nicht weiter der Rede wert, erlägen Nationen
nicht derselben Versuchung. Spätestens seit der
Öffnung des Landes Mitte des 19. Jahrhunderts
wird Japan vom Westen in radikalem Wechsel
bewundert und geschmäht, gefürchtet oder
unterschätzt. Unser Japan - Bild hatte zwischen
dem weltabgewandten Bettelmönch und dem
weltverschlingenden Godzilla kaum Zwischentöne.
Unsere Reisebebeobachtungen beschränken sich auf
Japans Sport-, vor allem Rhönradwelt. Anders als in
Europa wird die Sportart Rhönrad in Japan ausschließlich
an Universitäten betrieben.
Hier ist auch der Grund zu suchen, warum es in Japan
derzeit kaum Jugendliche oder gar Kinder gibt, die das
Rhönrad bewegen. Erst mit dem Beginn des Studiums ist
es den Japanern möglich Rhönradsport an einer, der bisher
8 Universitäten, die diesen Sport anbieten, zu betreiben.
Also können auch nur Minderheiten den Sport in Japan
ausführen. Als Dachorganisation verfügen Japans
Rhönradfreunde über einen nationalen Rhönradverband,
dem die rhönradturnenden Universitäten bzw. die einzelnen
Teilnehmer angehören.
Der Verband verwirklicht sich in einem Industriebetrieb,
der gleichzeitig Verbandseigner ist. Alle Versuche, die
Sportart über die japanische Sportjugend einer breiteren
Basis zu öffnen, scheitert am Veto des Verbandes bzw.
des Industriebetriebes, der das O.K. scheinbar nur dann gibt,
wenn sich das auch finanziell rechnet.
Es mangelt der japanischen Rhönradwelt nicht
unbedingt an Publicity, es ist enorm, welch lange
Sendezeiten von ein-  und mehrstündiger Dauer von
privaten und offiziellen Fernsehanstalten sich mit dem
rollenden Gerät aus Deutschland beschäftigen.
Auch die Universitäten haben das Rhönrad als
Showelemente in ihren Promotion-Videos und ihren
Massenvorführungen integriert.
Noch ist das japanische Publikum von den leistungsstarken und beeindruckenden Demonstrationen der Flensburger
Achus Emeis und Tim Schmelcher, den beiden Vizeweltmeistern  begeistert und angetan. Jedoch beim gemeinsamen
Training überraschte uns das sehr gute Leistungsniveau unser japanischen Freunde. Mit guten Kenntnissen der 
Biomechanik konnten sie sehr schnell die schwierigsten Übungsteile analysieren und umsetzten. Überall begegnete
uns die außergewöhnliche beinahe militärische Disziplin der japanischen Studenten. Beim Sumoringen genauso wie
bei den Kunstturnern und den Tanzgruppen. Ja, die Disziplin beeindruckte Tim Schmelcher und Achus Emeis, die sich 
diese Art in Deutschland gar nicht vorstellen könnten, aber daran glauben, daß nur so Weltniveau im Sport erreicht
werden kann.

In den heiligen Hallen des Olympiazentrums von Tokio und der privaten Universität „Nittaidai“ hatten wir das Erlebnis,
mit 70 japanischen Sportstudenten und nur 5 Rhönrädern zu arbeiten. Trotz kleiner Kommunikationsschwierigkeiten 
konnten uns die Motivation, die Disziplin und vor allem die athletischen Voraussetzungen überzeugen. Wir glauben, daß
Japan die erste Nation sein wird die an das traditionelle aber sehr hohe Leistungsstand der deutschen Rhönradakteure
anknüpfen kann und somit für Esprit und neuen Wind in der Szene sorgen wird.

Zurück zum Archiv